Andreas Reutz: In unserem Job braucht man Humor und eine gewisse Standfestigkeit

18. Dezember 2025
Andreas Reutz im Portrait bei ArbeitsLebensGeschichte
© AK Vorarlberg

Andreas Reutz ist gelernter Stahlbauer. Heute leitet er eine Station der Akutpsychiatrieim Landeskrankenhaus Rankweil. Warum hat der 29-Jährige seine handwerkliche Karriere nicht weiter verfolgt und sich stattdessen für die Pflege entschieden? Welche Herausforderungen bringt der Alltag in der Psychiatrie mit sich? Und wie geht man damit um, wenn man von einem Tag auf den anderen nicht weiß, was einen erwartet? Davon hat Andreas bei den ArbeitsLebensGeschichten im Gespräch mit Carmen Jurkovic-Burtscher erzählt.

Vom Stahlbauer zum Stationsleiter einer psychiatrischen Abteilung – was nach einer 180-Grad-Wende klingt, ist bei Andreas Reutz eigentlich gar nicht so weit hergeholt. Denn seine ersten Berührungspunkte mit dem Pflegeberuf hat der Nenzinger bereits lange, bevor er weiß, wie man Stahlbau buchstabiert. Seine Mutter arbeitet in der Altenpflege und schon als kleiner Junge darf Andreas sie manchmal zur Arbeit begleiten. Bereits damals zeigt sich: Die Arbeit mit Menschen liegt ihm.

Später besucht Andreas das Gymnasium und spielt mit dem Gedanken, danach Medizin zu studieren. Doch bald wird ihm klar: Um so lange die Schulbank zu drücken, fehlt ihm das Sitzfleisch. Außerdem möchte er Geld verdienen. Also bricht er das Gymnasium ab und macht sich auf die Suche nach einer Lehrstelle. Eine Herausforderung, wie sich herausstellen sollte. „Als Schulabbrecher, und dann auch noch aus dem Gymnasium, hat man keine besonders guten Voraussetzungen bei der Lehrstellensuche“, erinnert er sich. Als er unzählige Bewerbungen später dennoch endlich eine Zusage bekommt, zögert er nicht lange und greift zu. Obwohl er lieber etwas mit Holz gemacht hätte, beginnt Andreas eine Ausbildung zum Stahlbauer.

Super Lehre, falscher Beruf


Doch er wächst in das Thema und auch das Material hinein. Seine Lehrzeit macht Andreas Spaß, er fühlt sich wohl im Team und überhaupt: Wenn er etwas anfängt, dann zieht er es durch. Das ist damals schon seine Devise und begleitet ihn bis heute.

Wenn ich etwas anfange, dann ziehe ich es durch.

Andreas Reutz

Womöglich bleibt Andreas deshalb nach der Lehre  noch eine Zeitlang im Unternehmen, obwohl ihm die Routine bald zu eintönig wird. Als es dann heißt: Wehrpflicht oder Zivildienst, entscheidet Andreas sich für Letzters und geht zum Roten Kreuz. Diese Zäsur bildet eine Art natürlichen Schlussstrich unter seine Stahlbau-Karriere. Denn der enge Kontakt mit Menschen bringt ihn auf einen Gedanken, den er eigentlich längst abgehakt hatte: Wie wäre es, doch den Weg in die Pflege oder jedenfalls ins Gesundheitswesen einzuschlagen?

Vom Krankentransport mitten ins Geschehen

Als Zivildiener bringt Andreas Menschen ins Krankenhaus oder von dort nach Hause. Was im Spital passiert, bekommt er nur am Rande mit. Doch genau das interessiert ihn. Also recherchiert er online, welche Optionen und Berufe es in medizinischen Bereich gibt. Dabei stößt er unter anderem auf die psychiatrische Krankenpflege. Ein Bereich, der ihn ganz besonders interessiert, eben weil er nicht so ist, wie man Pflege im klassischen Sinne kennt. Also entscheidet er sich für den Diplomlehrgang in psychiatrischer Krankenpflege, der damals gerade zum letzten Mal angeboten wurde*. Im ersten Jahr dreht sich vieles um Grundlagenwissen und Einblicke in die verschiedenen medizinischen Fachbereiche und Abteilungen, bevor es dann in den für die Psychiatrie spezifische Themen in die Tiefe geht. Einen wichtigen Teil der Ausbildung bilden Praktika. „Während meiner Ausbildung habe ich in verschiedenen Suchteinrichtungen gearbeitet, in der psychiatrischen Hauskrankenpflege und auch schon viel in der Psychiatrie selbst“, erzählt Andreas. Nach Ende seiner Ausbildung 2020 beginnt er schließlich auch dort seinen neuen Berufsweg: auf einer der Akutstationen der Erwachsenenpsychiatrie im Landeskrankenhaus Rankweil.

Andreas Reutz: In unserem Job braucht man Humor und eine gewisse Standfestigkeit

Der Alltag in der psychiatrischen Pflege

Depression, Manie, Sucht, Anpassungsstörungen, Persönlichkeitsstörungen und vieles mehr – die Bandbreite an Gründen, warum jemand auf der Akutpsychiatrie aufgefangen wird, ist groß. Während viele nur für eine Nacht bleiben, kommen andere immer wieder oder bleiben länger: mehrere Wochen oder Monate, manche sogar Jahre. Dementsprechend unberechenbar ist auch der Alltag. „Auf der Psychiatrie weiß man nie, was einen erwartet, wenn man die Stationstür aufmacht. Gerade das macht es für mich so spannend“, sagt Andreas. Auch für die Art und Weise, wie die einzelnen Patient:innen am besten unterstützt werden können, gibt es kein Patentrezept. Denn während eine gebrochene Hand recht klare Symptome aufweist, können sich Krankheiten wie eine schwere Depression oder manische Zustände von Patient:in zu Patient:in anders zeigen. Das stellt auch die Pflege vor immer wieder neue Herausforderungen.

Auf der Psychiatrie weiß man nie, was einen erwartet, wenn man die Stationstür aufmacht. Gerade das macht es für mich so spannend.

Andreas Reutz

Auch in der psychiatrischen Pflege müssen hin und wieder Katheter gelegt, Verbände gewechselt, oder Patient:innen bei der Körperhygiene unterstützt werden. Das oberste Gebot jedoch ist die professionelle Beziehungsarbeit und der Aufbau einer Vertrauensbasis, schließlich befinden sich die Patient:innen in der Regel in einer schweren Krise, wenn sie auf Andreas Station kommen. Das Ziel dort ist es, die Patient:innen bestmöglich dabei zu unterstützen, wieder eine Tagesstruktur aufzubauen und in einen Alltag hineinzufinden, den sie möglichst selbstständig bewältigen können. Da kann die Deeskalation von emotionalen Ausnahmezuständen genauso notwendig sein, wie ein Spaziergang in den Garten oder den Patient:innen dabei zu helfen, ihr Zimmer aufzuräumen. Dieser enge Kontakt mit den Patient:innen ist genau das, was Andreas an seinem Job am meisten mag. Hier merkt er, dass er etwas verändern kann.

Andreas Reutz: In unserem Job braucht man Humor und eine gewisse Standfestigkeit

Immer mit der Ruhe

Auch wenn er nach dem Abschluss der Ausbildung noch der festen Überzeugung ist, „Danke, die Schule hat mich gesehen!“, macht er schon bald eine Weiterbildung zum Deeskalationstrainer. Eine Entscheidung, von der nicht nur er selbst, sondern das gesamte Team profitiert, denn heute kann er sein Wissen weitergeben. Seine ruhige und entspannte Art hilft ihm zusätzlich, auch in schwierigen Situationen richtig zu reagieren. Das bringt ihm das Vertrauen seiner Patient:innen und auch im Kollegenkreis schätzt man den jungen Pfleger. Wie sehr, das zeigt sich bereits nach gerade einmal gut drei Jahren, als es darum geht, die Stationsleitung neu zu besetzen.

Vom Bett ins Büro

Eine Führungsposition zu übernehmen, ist nicht Andreas vorrangiges Ziel. Dafür arbeitet er zu gerne „am Bett“. Doch als nach einer Umstrukturierung ein Kollege die Führung übernimmt, wird dem jungen Pfleger wenig später die Stellvertretung angeboten. Das, so findet Andreas, ist für ihn eine gute Gelegenheit, in die Position hineinzuschnuppern, ohne gleich die volle Verantwortung zu tragen. Also nimmt er das Angebot an – nicht ahnend, dass er schon wenig später nachrücken sollte. Als sein Vorgänger in Altersteilzeit geht, übernimmt Andreas Anfang 2025 die Leitung Akutstation der Erwachsenenpsychiatrie im Landeskrankenhaus Rankweil mit einem 28-köpfigen Team. Damit verändert sich nicht nur seine Rolle sondern auch sein Alltag. Administratives, Organisatorisches und Personalfragen nehmen heute einen großen Teil seiner Arbeitszeit in Anspruch. Die größte Herausforderung: Personalfragen – und der Balanceakt zwischen „Vorgesetzter“ und „Kollege“ sein. Tipps und Methoden, wie man mit Themen wie diesen umgeht, holt sich Andreas bereits in seiner Zeit als Stellvertreter in einem Führungsseminar für mittleres Pflegemanagement. „Lernen nervt mich nach wie vor“, schmunzelt er. „Aber was ich bisher gelernt habe, hat mich auch jedes Mal weitergebracht.“

Lernen nervt mich nach wie vor. Aber was ich bisher gelernt habe, hat mich auch jedes Mal weitergebracht.

Andreas Reutz

Andreas Reutz: In unserem Job braucht man Humor und eine gewisse Standfestigkeit

Neben all dem, was zu seinem Aufgabengebiet dazugekommen ist, nimmt sich Andreas nach wie vor wann immer es geht Zeit für seine Patient:innen. Die positiven Rückmeldungen, die er dann bekommt, bedeuten ihm viel. Trotzdem kommt es gerade in akuten Krisen auch immer wieder zu Situationen, in denen er einiges einstecken und sich abgrenzen können muss. „In unserem Job braucht man Humor und eine gewisse Standfestigkeit“, sagt Andreas. „Und man muss lernen, was auf der Station passiert auf der Station zu lassen.“ Deshalb legt er, wenn er nach dem Dienst seine blaue Arbeitskleidung ablegt, auch seine Rolle als Stationsleiter ab und ist einfach nur Andreas. Ein 29-Jähriger, der gerne Motorrad fährt, an Autos herumbastelt und mit seinen Freunden abhängt – und dabei Energie sammelt für einen neuen Tag, an dem er erst weiß, was ihn erwartet, wenn die Stationstür vor ihm aufschwingt.

Fußnote/Sternchentext

*Wer sich für Ausbildungsmöglichkeiten in der psychiatrischen Krankenpflege interessiert, findet hier weiterführende Informationen:

https://fastlane.ak-vorarlberg.at/umorientieren/krankenpfleger:in

https://www.pflegeschule-vorarlberg.at/ausbildung-rankweil/neu-pflegefachassistenz-mit-schwerpunkt-psychiatrische-pflege

https://www.meinjobfuersleben.at/

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